40 Jahre SP Herrliberg

Zur Entstehung des Stachels im Fleische der SVP und FDP

Endlich war es soweit. Schon trat die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, gegründet 1888, in ihr 90. Jahr ein, da schlug die alte Kämpferin doch noch späte Wurzeln auf dem steinigen Gelände am See. Nach mehreren gescheiterten und nur schwach dokumentierten Versuchen, zuerst 1917, im Jahr der Russischen Revolution, erneut um 1930 und 1942, schaffte es eine kleine linke Aktivistengruppe, in der letzten noch brachliegenden Gemeinde des Bezirks eine sozialdemokratische Ortssektion einzupflanzen. Im Sitzungszimmer des Restaurants Rössli versammelte sich am Abend des 15. November 1977 ein rundes Dutzend „Genossinnen und Genossen“, „überdurchschnittlich viele Frauen“, wie sie selbst hervorhoben, im Beisein des Vizepräsidenten der Kantonalpartei, Marco Mona, „in von Optimismus getragener Stimmung“ zur Gründungsversammlung. Stephanie Pruschansky, Dorf 12, ehemals „Frohsinn“, wo sich eine für Herrliberg noch etwas gewöhnungsbedürftige „Wohngemeinschaft“ eingerichtet hatte, wurde zur ersten Präsidentin gewählt und führte bis zu ihrem schon bald erfolgten Wegzug die neue Partei, „SPH“, die nur gerade 9 Mitglieder und einige Sympathisanten umfasste.

In den Statuten wurde als Zweck „die Verwirklichung des demokratischen Sozialismus in der Gemeinde“ angegeben, womit u.a. „eine aktive, initiative Gemeindepolitik“ und die „Aufstellung und Unterstützung von Wahlkandidaten“ gemeint war. Der Gründung vorausgegangen war eine etwa zweijährige Phase, in der sich ein spontan entstandener „SP-Arbeitskreis“ mit damals heissen Eisen der Gemeindepolitik, nämlich einer „Rückzonungsinitiative“ von Pierre Weber und der Errichtung einer kantonalen Drogenklinik in der Kittenmühle, engagiert befasst und auch damit begonnen hatte, „dynamische politische Bildungsarbeit“ zu leisten, vorwiegend mit der Organisation von Filmabenden, so z.B. am 21.1.1977 „Kuba für Anfänger“, als der Filmautor Klaus Bürki seinen Film über ein Land, „das im Begriff steht, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen“, gleich selbst vorführte. Bei den im Herbst 1976 breit angestellten Ueberlegungen zur Parteigründung spielte neben dem Willen zur konkreten Tat und zum politischen Outing auch die Absicht mit, mit der neuen Sektion den „linken Flügel innerhalb der SPS“ zu stärken.

Der Zeitpunkt der Gründung war bestimmt durch die im März 1978 fälligen Gemeindewahlen. Hier wollte die SPH Flagge zeigen und mit Kampfkandidaturen insbesondere die allmächtige FDP herausfordern, wenn möglich in einem grossen „Oppositionsbündnis“ mit LdU, EVP und Teilen des Gemeindevereins. Maya Aeschbacher, 24-jährige Buchhändlerin und Gründungsmitglied, stieg ins Rennen um die Schulpflege und wollte dort, sieben Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts, „den Einfluss der Frau stärken“, Ruedi Leuenberger, 35-jähriger Geschäftsleiter und Mitinitiant der Parteigründung, wollte in die Rechnungsprüfungskommission den „Mut zu Ausgaben, wo es dem Allgemeinwohl und insbesondere den wirtschaftlich schwächeren und sozial Benachteiligten dient“, einbringen. Beide Kandidaturen sorgten für eine „echte Auswahl“ (Zürichsee-Zeitung), blieben aber völlig chancenlos. Die Präsidentin hielt Rückschau: „Unser erster Achtungserfolg ist errungen.“ Gemessen am Aufwand im Vergleich zu andern Parteien dürfe man „sogar ein wenig stolz sein.“

Mit dieser Formel „relativer Erfolg“ waren auch schon die weiteren 30 Jahre der SPH zutreffend umrissen. An den Gemeindewahlen beteiligte sie sich von nun an regelmässig (ohne 1986) und musste sich ebenso regelmässig mit „Achtungserfolgen“ zufrieden geben: 1982 Alfred Bont (Schulpflege) und Serge Mosimann (RPK), 1990 Regula Stieger (Schulpflege), 1992 Rolf Eggmann (Ergänzungswahl RPK), 1994 Marc Baumann (Gemeinderat), Ruth Eigenmann und Beat Lüscher (Schulpflege), 1998 Marc Baumann (Gemeinderat und Gemeindepräsidium), Lukas Müller (RPK, kampflos gewählt), Irene Lauper (Schulpflege) und Alfred Bont (Vormundschafts- und Sozialbehörde), 2002 Ruth Eigenmann (RPK, kampflos gewählt), 2006 Hans Spuhler (Präsidium Schulpflege, Gemeinderat, auch vom Gemeindeverein unterstützt). Schon wenige Jahre nach der Gründung war diese beschränkte Reichweite einer sozialdemokratischen Gemeindepolitik klar erkannt und führte bereits im Sommer 1984 an einer Mitgliederversammlung zu einer grundsätzlichen Diskussion über die Zukunft der SPH, eingeschlossen die Möglichkeit einer Selbstauflösung: „In Wahlen schafft es der Bürgerblock spielend, unsere Kandidaten aus RPK und Schulpflege fern zu halten. Profilierung einzelner muss mit zu grosser Anpassung erkauft werden, damit sie gewählt würden.“ Dennoch kam man zum Schluss: „Weil wir eine kleine, aber frohgemute Sektion sind, wollen wir weiter machen: Wahrnehmung der Oppositionsrolle u.a. zur Propagierung des sozialistischen Gedankengutes, Pflege des zwischenmenschlichen Kontaktes unter Genossen und Sympathisanten im Dorf, Bezirk, Kanton, Nation etc.“.

In Kenntnis ihrer limitierten Möglichkeiten richtete sich die Sektion fortan auf ein längeres Ueberleben in der Gemeinde ein. Die Mitgliederzahl verdoppelte sich (von 9 auf zeitweise 20), desgleichen der Wähleranteil (von minimalen 7 auf maximale 14 Prozent), das Präsidium ging an Sabeth Tobler, dann an Alfred Bont, schliesslich als Co-Präsidium an Regula Stieger (bis 2003) bzw. Katrin Glauser (ab 2004) und Hans Spuhler über. Nationale politische Grundwellen erreichten auch Herrliberg und stärkten den Frauenanteil weiter auf rund zwei Drittel: der „Uchtenhagen (1983) – bzw. Brunner (1993) – bzw. Calmy-Rey (2003) -Effekt“.
Parallel dazu schritt die Integration der Partei in die Dorfgemeinschaft voran, sichtbar etwa bei der Mitarbeit in der Interparteilichen Konferenz (IPK), deren Präsidium 2001 – 2005 der SPH zufiel, oder bei der Organisation gut besuchter öffentlicher Veranstaltungen in der Vogtei mit SP-Prominenten: Liliane Uchtenhagen zum Thema „Was heisst heute noch ‚links’?“ (1995), Helmut Hubacher zu „Tatort Bundeshaus“ (1996), Josef Estermann zu „Solidarität Land-Stadt“ (1998). Das „Super-Bourgeois-Kaff“ (SP-Originalton 1984) und die „Roten“ begannen sich zu vertragen, so dass die bürgerlichen Parteien sich den von der SP unermüdlich geforderten „freiwilligen Proporz“ wenigstens partiell anerkannten und zweimal eine SP-Kandidatur für die RPK kampflos akzeptierten, mithin für die SPH die einzige Möglichkeit, die angestrebte Mitwirkung in den Behörden auch wirklich auszuüben. Reiche Früchte trugen auch die familienpolitischen Aktivitäten einiger junger SP-Frauen (Katrin Glauser, Christina Tischhauser, Corinne Bouvard). Sie erlangten zusammen mit anderen engagierten Kreisen die Unterstützung des Gemeinderates für die Einrichtung eines „Chinderhuuses“ und verwirklichten damit die uralte linke Forderung nach Kindertagesstätten. Die Notwendigkeit einer SP-Sektion war 1984 u.a. mit dem Erbringen von „oppositionellen Avantgardeleistungen“ begründet worden. Ganz überflüssig scheint die sozialdemokratische Gemeindepolitik also doch nicht zu sein.